«Die Prioritäten der Generation Z liegen definitiv woanders als bei ihrer Elterngeneration.»

Ein Gespräch über das Angebot der Beratungsstelle, die neuen Prioritäten der Generation Z und die Sorgen und Nöte von Lernenden.

2024-01-news-hinterview-beratung.jpg

Gespräch mit Simone Tenger, Beratungsstelle Juventus Schule für Medizin

Simone Tenger studierte im Anschluss an ihre Ausbildung zur Fachfrau Kinderbetreuung Sozialpädagogik und betreut seit September 2022 die Beratungsstelle der Juventus Schule für Medizin. Ein Gespräch über das Angebot der Beratungsstelle, die neuen Prioritäten der Generation Z und die Sorgen und Nöte von Lernenden.

Simone, du betreust bei den Juventus Schulen seit September 2022 die Beratungsstelle der Grundbildung der Juventus Schule für Medizin. Was muss ich mir unter deiner Tätigkeit genau vorstellen, wie sieht dein Arbeitsalltag aus?

Mein Job ist es, den Lernenden zu helfen, ihren Arbeits- und Schulalltag zu bewältigen. Ich bin Ansprechperson bei Lernschwierigkeiten, entwickle bei Bedarf mit den Lernenden Lernstrategien. Ich unterstütze aber auch bei Schwierigkeiten im Lehrbetrieb, helfe falls nötig bei der Suche nach einer neuen Lehrstelle und habe auch bei privaten Problemen ein offenes Ohr. Manchmal ist es auch «nur» Liebeskummer …

Du siehst: Mein Tätigkeitsfeld ist sehr gross und vielfältig. Oft muss ich bei grösseren Problemen auch abwägen, ob ich noch helfen kann oder ob die oder der Lernende therapeutische Hilfe braucht. Ein nicht kleiner Teil meiner Arbeit ist auch administrativer Natur: Ich bereite mich auf jedes Gespräch intensiv vor, Abklärungen mit Fachstellen gehören ebenso dazu wie das Protokollieren der Gespräche und das Führen der Dossiers.

In deiner Arbeit bekommst du vertiefte Einblicke in das, was junge Erwachsene heute bewegt. Was würdest du sagen – wie tickt die vielzitierte Generation Z? Stimmt es, dass sie technologieaffin und immer online, ungeduldig und fordernd, gesundheits- und umweltbewusst ist? Oder erlebst du Dinge ganz anders?

Die Prioritäten der Generation Z liegen definitiv woanders als bei ihrer Elterngeneration. Die Generation Z möchte das Leben geniessen, sich Abrackern bis zur Pension ist nicht mehr das Ziel. Die Jungen definieren sich auch nicht mehr so stark über den Job, dafür mehr über Social Media.  Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung ist ihnen wichtig, materielle Werte und finanzielle Sicherheit weniger.

Wie viele Beratungen führst du im Durchschnitt pro Woche durch, wie viele Lernende holen sich bei dir Hilfe?

Pro Woche sind es im Schnitt rund acht Beratungen. Manche kommen einmal, es gibt aber auch Lernende, die wöchentlich vorbeikommen, z. T. als Überbrückung, bis ein Therapieplatz gefunden ist. Hier spüre ich konkret, dass die Kinder- und Jugendpsychiatrie und die entsprechenden Therapieangebote völlig überlastet sind, es kommt zu Wartezeiten. Gesellschaftliche Entwicklungen, Stichwort Helikoptereltern oder Social Media, haben hier sicher das ihre beigetragen. Oft fehlt bei den Jugendlichen die Selbstliebe, der eigene Körper, der möglichst perfekt sein muss, ist ein grosses Thema, die Erwartungen an die Lernenden sind generell gestiegen, der Druck von allen Seiten ist gross.

portrait-simone-tenger

«Wie kannst Du helfen?»

Was sind die häufigsten Probleme, mit denen die Lernenden zu dir kommen?

Meine «Hitliste» sieht hier in etwa so aus: 

  1. Konflikte und Probleme im Lehrbetrieb/Team
  2. Schulschwierigkeiten, fehlende Lernstrategien
  3. Private Probleme und Herausforderungen

Und wie kannst du konkret helfen? Und gab es auch schon Fälle, wo du nicht weitergekommen bist, wo es andere Massnahmen brauchte?

Bei einer Beratung ist meine erste Frage immer, was die Lernenden vom Gespräch erwarten, was sie brauchen. Die nötigen Fähigkeiten, um die Probleme am Arbeitsplatz, in der Schule oder im Privatleben zu lösen, bringen die allermeisten mit. Mein Ziel ist es, diese Ressourcen zu aktivieren.

Bei schwierigeren Fällen hole ich den Rat von Fachstellen ein, verweise an eine Therapeutin oder einen Therapeuten oder an andere Fachleute. Es gibt dann auch Fälle, die sich einer Therapie verweigern, das muss ich akzeptieren. Helfen kann man nur, wenn sich jemand helfen lassen will. Jemanden zu zwingen, ein Angebot anzunehmen, bringt nichts. Oft braucht es Geduld, man muss warten, bis jemand soweit ist. Wenn ich sehe, dass die Sicherheit einer Lernenden oder eines Lernenden akut gefährdet ist, bleibt die Gefährdungsmeldung an die Behörden als letztes Mittel. Das passiert aber zum Glück nicht häufig, das sind Einzelfälle.

Was liebst du an deinem Job und was sind die grössten Herausforderungen?

Ich liebe die Abwechslung und den Freiraum, den ich hier habe - jeder Tag ist anders! Die Arbeit mit Menschen erfüllt mich. Eine Herausforderung sind sicher die vielen Termine an einem Tag, da muss ich rasch von einem Thema zum nächsten switchen.

Wichtig ist auch, am Ende eines Arbeitstages, in der letzten Beratung noch mit der vollen Energie und Aufmerksamkeit für die Lernende oder den Lernenden da zu sein.
 
Was könnte die Juventus Schule für Medizin dazu beitragen, um die Beratungen bei dir auf ein Minimum zu reduzieren? Stichwort Stress im Schulalltag, Notendruck?

Ganz grundsätzlich wünsche ich mir, dass sich die Schule und die Lehrpersonen noch mehr auf die Stärken und positiven Eigenschaften der Lernenden fokussieren. Auch kleine Fortschritte sollten mehr gesehen und anerkannt werden.

In meinen Augen müsste sich das Bildungssystem allgemein verändern: Klassische Schulnoten abschaffen, stattdessen mit Lernzielen und Kompetenzen arbeiten. Prüfungs- und Versagensangst sind grosse Themen und blockieren viele Lernende unnötig dabei, ihr Potenzial ausschöpfen.

Zum Schluss noch eine private Frage: Was machst du, wenn du nicht arbeitest, wie verbringst du deine Freizeit?

Nach einem anstrengenden Arbeitstag brauche ich vor allem Zeit für mich selbst. Dann bin ich auch gerne mal alleine. Ich koche viel, gehe regelmässig ins Fitness, bin mit meinen Freundinnen und Freunden unterwegs. Und ich reise gerne! Afrika liebe ich sehr, ich war schon in Tansania, Nigeria und vieles mehr.

Liebe Simone, vielen Dank für deine Arbeit und deine Antworten! 

das Interview führte: Anne Wieser

Passende Artikel zum Thema