Juventus Wirtschaftsschule
Publiziert am 31. Januar 2025
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Vor Kurzem wurde in einem bekannten Schweizer Medium ein eher kritischer Artikel über die KV-Reform 2023 veröffentlicht. Die Kritik dort geht von derjenigen an den Lehrmitteln direkt über zur Kritik an der Reform und dem «neuen» KV insgesamt. Wir möchten den Blick auf die motivierten Jugendlichen lenken, die diese Ausbildung im Moment absolvieren und auf dieser Basis ihre Zukunft gestalten wollen.
Dafür haben wir nachgefragt, wie die Direktorin der Stiftung Juventus Schulen, Dr. Claudia Sidler-Brand und unsere Schulleiterin Marion Hüsser die KV-Reform an der Juventus Wirtschaftsschule erleben und wie ihre Sicht auf die Dinge aussieht:
Liebe Claudia, liebe Marion: Was ist das Besondere an der KV-Grundbildung auf sog. «schulischem Weg», wie man ihn an der Juventus Wirtschaftsschule absolvieren kann?
MaHu: Die Grundbildung für Kaufleute EFZ kann an der Juventus Wirtschaftsschule absolviert werden, auch wenn man keine Lehrstelle hat, weil ein kaufmännisches Vollzeitpraktikum integriert ist. Das heisst, die Lernenden gehen erst drei Semester Vollzeit in die Schule und sammeln danach ein Jahr im sogenannten «Praktikum» konzentriert Berufserfahrung. Sie sind in dieser Zeit zu 100 % berufstätig. Im sechsten Semester bereiten sie sich auf die eidgenössischen Abschlussprüfungen zum EFZ vor.
ClSi: Ein wesentlicher Vorteil des schulischen Wegs ist die Möglichkeit, sich zunächst vollkommen auf die schulische Ausbildung konzentrieren zu können. Dies erlaubt den Lernenden, ein solides theoretisches Fundament aufzubauen, bevor sie in die Praxis einsteigen. Unsere Schulleitung spielt hier eine zentrale Rolle. Sie arbeitet eng mit ihren Lehrpersonen zusammen, um eine qualitativ hochwertige Ausbildung zu gewährleisten und die Lernenden bestmöglich zu fördern und auf die Arbeitswelt vorzubereiten.
In der KV-Grundbildung der Juventus Wirtschaftsschule legen wir grossen Wert darauf, die Lernenden auf individueller Basis zu unterstützen. So bieten wir abseits vom klassischen Weg eine umfassende und zukunftsorientierte KV-Grundbildung, die junge Menschen optimal auf ihre berufliche Laufbahn vorbereitet.
Wie hat sich die Reform hier ausgewirkt?
MaHu: Die neuen Prüfungsformen erfordern jetzt eine kompetenzorientierte Ausbildung. Selbstorganisiertes Lernen wird verlangt und gezielt gefördert. Die Lehrpersonen sind nicht mehr nur reine Wissensvermittler/innen, sondern müssen ihre Rolle vermehrt als Coach verstehen, der gezielte Inputs gibt und danach interdisziplinäres Arbeiten begleitet und individuelle Unterstützung ermöglicht.
Inhaltlich werden Themenfelder, die auch in der realen Arbeitswelt ineinanderfliessen, seit der Reform in sog. Handlungskompetenzbereichen unterrichtet: «Koordinieren von unternehmerischen Arbeitsprozessen, Interagieren in einem vernetzten Arbeitsumfeld, Gestalten von Kunden- und Lieferantenbeziehungen und Einsetzen von Technologien in der digitalen Arbeitswelt».
Die Lernenden können sich in den Bereichen Sprache, Finanzen oder auch Technologie individuell vertiefen. Mit Blick auf die Arbeitswelt der Zukunft, die niemand von uns wirklich kennen kann, haben die Lernenden mit der Reform die Chance, ihre Kompetenzen breit aufzustellen und je nach Talent zu vertiefen. Das betrachte ich als grossen Vorteil.
Der Wechsel von altbekannten Fächern wie Deutsch, Rechnungswesen oder Mathematik hin zu vernetzten Unterrichtsinhalten hat – wie alle anderen KV Berufsschulen auch – mein Team und mich vor Herausforderungen gestellt. Die Veränderungen sind tiefgreifend, vom Stundenplan über die Lehrmittel bis zur Prüfungsform. Aus meiner Sicht ist der Prozess noch nicht abgeschlossen.
Wie jede derart grosse Veränderung braucht es viel Zeit. Ich bin froh, mit einem engagierten Team aus Lehrpersonen und im Austausch mit unseren Lernenden und den Praktikumsbetrieben reflektiert an Optimierungen in der Umsetzung der Reform arbeiten zu dürfen. Wir nutzen den gesetzten Rahmen weitestmöglich aus, um unseren Lernenden die bestmögliche Ausbildung zu ermöglichen.
ClSi: Die Lernenden werden auch aus meiner Sicht vermehrt auf die Anforderungen einer Wirtschaftswelt vorbereitet, die sich beständig weiterentwickelt und ständig verändert.
Schülerinnen und Schüler müssen lernen, vernetzt zu denken und sich unterschiedlichen Aufgaben und Anforderungen innerhalb verschiedenster Themengebiete anzupassen. Neben den traditionellen kognitiven Fähigkeiten werden die sozialen und emotionalen Kompetenzen wichtiger. Für uns ist es zentral, die individuellen Fähigkeiten unserer Schülerinnen und Schüler hervorzubringen und zu fördern. Die Kompetenzbereiche erlauben uns hier, das über unterschiedliche Themengebiete – eben vernetzt – aufzubauen.
Wie erlebt Ihr den Bildungsalltag seit der KV Reform? Was hat sich konkret geändert?
MaHu: Im Lehrplan sind verstärkt praxisorientierte Aufträge und Trainingseinheiten verankert. Leistungen werden, anders als in der Oberstufe, über mehrere Fachbereiche hinweg erbracht. Der reine Wissenserwerb verlagert sich zugunsten des Kompetenzerwerbs und der Anwendung auf praxisorientierte Situationen.
Die Lernenden müssen sich im System der Handlungskompetenzbereiche zunächst erstmal zurechtfinden – es gibt keine Noten mehr für klassische Fächer. Auswendig lernen und wiedergeben, wie sie es z. T. aus der Oberstufe kennen, funktioniert deshalb nicht. Das ist nicht in jedem Fall einfach.
Sie müssen sich ausserdem an die neuen Prüfungsformen wie z.B. Critical Incidents oder Rollenspiele zur Anwendung von Gesprächstechniken, gewöhnen. Auch diese kennen sie aus der Volksschule nur begrenzt. Ausserdem stellen die praxisorientierten Aufträge für sie tlw. eine grosse Herausforderung dar. Wir merken vor allem, dass das selbstorganisierte Lernen für die Schülerinnen und Schüler nicht selbstverständlich ist. Einige geniessen die Selbstverantwortung, andere müssen sich auch daran erst gewöhnen. Das benötigt Wahrnehmung, Förderung und Unterstützung – vor allem natürlich von Seiten unserer Lehrpersonen.
Kann man aus Eurer Sicht den kompetenzorientierten Unterricht so interpretieren, dass die Lernenden heute tatsächlich «nichts mehr wirklich wissen müssen»?
MaHu: Nein! Wir sind gefordert, die Lernenden darin zu schulen, sich Informationen zu beschaffen, diese zu verstehen, zu verarbeiten und in praxisorientierten Situationen richtig anzuwenden. Dabei spielt es in der heutigen Welt der Fake News und unterschiedlichsten Quellen eine grosse Rolle, Informationen verifizieren zu können auf Basis des gelernten Wissens.
ClSi: Auch von mir ein klares: Nein! Der kompetenzorientierte Unterricht bedeutet keinesfalls, dass Lernende «nichts mehr wirklich wissen müssen». Im Gegenteil, Wissen bleibt die unverzichtbare Basis jedes kompetenten Handelns, wobei der Fokus darauf liegt, dass dieses Wissen verstanden, vernetzt und transferfähig sein muss.
Kompetenzorientierter Unterricht zielt darauf ab, dass Schülerinnen und Schüler nicht nur Fakten memorieren, sondern das erworbene Wissen auch anwenden können, was besonders im Umgang mit KI und neuen Technologien von grosser Bedeutung ist. Dabei spielt die Entwicklung von kritischem Denken und Beurteilungsvermögen eine zentrale Rolle, um die Lernenden auf die Herausforderungen einer zunehmend digitalisierten Welt vorzubereiten und sie zu befähigen, Informationen kritisch zu hinterfragen, einzuordnen und erfolgreich zu verwenden.
Hierfür die im Unterricht nötigen Veränderungen herbeizuführen, ist natürlich auch für unsere Lehrpersonen eine besondere Aufgabe. Sie haben ihre eigene Schulbildung wie auch ihr Studium auf klassische Art absolviert und auch gelernt, fächerbasiert zu unterrichten. Unser Respekt für ihr Engagement kann vor diesem Hintergrund aus meiner Sicht nicht hoch genug sein.
Hängt die Qualität unserer KV-Ausbildung Eurer Meinung nach hauptsächlich von den Lehrmitteln ab?
ClSi: Wieder: Nein! Es sind die Beziehungen zu den Lehrpersonen, die ausschlaggebend sind. Eine vertrauensvolle und unterstützende Beziehung zwischen Lehrpersonen und Lernenden bildet die Grundlage für eine erfolgreiche Ausbildung.
MaHu: Auch ich muss hier sagen: Nein. Massgeblich für den Lernprozess und die Lernbereitschaft sind die Beziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden, wie Claudia sagt. Hier verändert ein Lehrmittel nichts.
Wie organisieren wir an der Juventus Wirtschaftsschule die Lehrmittel für die KV Grundbildung?
MaHu: Wir arbeiten mit den sog. Lernmedien. Lehrmittel in Papierform gibt es für das KV nicht mehr. Unsere Lehrpersonen führen die Lernenden in den Umgang mit diesen Lernmedien ein.
Wie gehen unsere Lehrpersonen damit um? Haben Sie Mitspracherecht?
MaHu: Die Wahl des Lernmediums war ein gemeinsamer Entscheid der Lehrpersonen. Auch für sie ist der Umgang neu, bringt aber auch Vorteile mit sich.
Unsere Lehrpersonen sollen auch immer die Möglichkeiten haben, die Lehrmittel auf ihr Unterrichtskonzept abzustimmen. Sie arbeiten deshalb, wo es nötig ist, mit selbst erstellten Unterlagen. Hier unterstützen sich die Lehrpersonen auch innerhalb unserer Fachschaften.
Wem empfehlt Ihr die KV-Grundbildung, wie sie an der Juventus Wirtschaftsschule angeboten wird?
MaHu: Die Ausbildung in der schulisch organisierten Grundbildung eignet sich grundsätzlich für alle Schulabgänger/innen, die das KV machen möchten. Besonders sehr junge Schulabgänger/innen, die noch etwas Zeit für ihre persönliche Entwicklung benötigen, bevor sie sich in das Berufsleben begeben, schätzen die ersten drei Semester im Schulkontext. Auch diejenigen, für die sich die Lehrstellensuche als schwierig herausstellt, haben mit der schulisch organisierten Grundbildung der Juventus Schulen eine sehr gute Option.
ClSi: Die KV Grundbildung allgemein ist eine gute Option für motivierte Schulabgänger/innen, die eine zukunftsorientierte Ausbildung suchen und sich möglichst breit aufstellen wollen. Auch Personen, die eine flexible Alternative zur traditionellen Lehre suchen und von der Möglichkeit begeistert sind, erst die theoretischen Grundlagen zu erarbeiten und dann ein Jahr Vollzeit Berufserfahrung zu sammeln.
Danke für das Interview!